PFLANZENSCHUTZ PRAXIS | Entscheidungsmodelle

Wie gut sind die Prognosen?


Quelle: DLG Mitteilung März 2021 – Forschung der Universität Kiel, Ketel Christian Prahl

Pflanzenschutzmittel sparen ohne Ertragseinbußen – meistens weiß man erst nach der Ernte, wie hoch der optimale Aufwand gewesen wäre. Wie gut sich mit Prognose­modellen eine Fungizidstrategie in Weizen aufbauen lässt, hat Ketel Christian Prahl untersucht.


Den Pflanzenschutzmitteleinsatz hat die Öffentlichkeit schon lange im Blick, er ist oft ein zentraler Kritikpunkt an der Landwirtschaft. Daraus entstand schon 2008 durch den Dialog von Kritikern und Anwendern der Nationale Aktionsplan Pflanzenschutz (NAP), der 2013 überarbeitet wurde.

Von den umfangreichen Zielvorgaben, wie z. B. das Senken von Rückstandshöchstgehaltsüberschreitungen in allen Produktgruppen auf unter ein Prozent oder die Reduzierung von Risiken durch die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (PS), wurden viele fast vollständig erfüllt. Ziele wie das Fördern von Pflanzenschutzverfahren mit geringen PS-Anwendungen im integrierten Pflanzenschutz und im ökologischen Landbau sowie die Reduzierung der PS-Anwendungen auf ein notwendiges Maß sind zwar schon zum Teil erreicht, aber es besteht durchaus noch weiteres Steigerungspotential.

Den Pflanzenschutzmitteleinsatz optimieren.

Etwa 89 % des PS-Einsatzes entsprechen nach Untersuchungen des Julius Kühn-Instituts (JKI) heute schon dem notwendigen Maß und somit auch dem NAP.

Bei differenzierter Betrachtung der einzelnen Wirkstoffgruppen der Herbizide, Fungizide und Insektizide, die zusammen etwa 90 % des Inlandsabsatzes ausmachen, wird aber auch deutlich: Das JKI beurteilt weniger die Herbizide, bei denen etwa 6 % der Wirkstoffmengen fehlerhaft eingesetzt werden, als nicht angemessen. Vielmehr sind es die Fungizide und Insektizide, bei denen etwa 13 % bzw. 30 % der eingesetzten Wirkstoffmengen fehlerhaft angewendet werden. Unter Berücksichtigung der Anteile der Wirkstoffgruppen am Gesamtinlandsumsatz (Herbizide: 53 %, Fungizide: 33 %, Insektizide: 3 %) ergibt sich für Fungizide das größte Optimierungspotential. Zur weiteren Verbesserung der Fungizidanwendung stehen Landwirten Entscheidungshilfen für den Einsatz zur Verfügung. Durch Anpassung der Applikationen an die Epidemiologie der Erreger sollen fehlerhafte Anwendungen minimiert werden, ohne dabei die Erträge nennenswert zu mindern. Dabei ist die Auswahl einer passenden Entscheidungshilfe für viele Betriebe allerdings schwierig. Es wurde zwar schon eine Vielzahl veröffentlicht, aber die wenigsten berücksichtigen dabei Erregerkomplexe. Ebenso besteht Unsicherheit bei der Auswahl einer passenden Entscheidungshilfe, da diese selbst keinerlei Kontrollen durch unabhängige Institutionen unterliegt.

In Schleswig-Holstein gab es daher 2019 und 2020 Versuche, um die Entscheidungshilfen des IPS-Modells Weizen, des ISIP-Systems und des xarvio FIELD MANAGERs zu untersuchen, und zwar hinsichtlich Pathogenbefall, Zielindikation, Anwendbarkeit, Effektivität und Ertrag. Der Vergleich fand zum einen zwischen den Entscheidungshilfen und zum anderen gegenüber einer unbehandelten Kontrollvariante und einer

Gesundvariante (vierfache Applikation nach BBCH-Stadien) statt. Dabei wurden mögliche Eingaben von Parametern der Versuchsbestände in die Entscheidungshilfen kontinuierlich unter Beachtung der jeweiligen Vorgaben direkt vor Ort erfasst. Davon unabhängig wurden für die Bewertung einheitliche Exaktbonituren in wöchentlichen Intervallen für alle Varianten durchgeführt.

 

Analysiert wurden dabei:

• die Bestandesentwicklung (BBCH-Stadium) des Blattapparates,

• der Grad der Nekrotisierung,

• die Befallsstärke im Bestand (BSB) und

• die Befallshäufigkeit im Bestand (BHB).

 

Zur überregionalen Überprüfung wurden an mehreren Standorten in Schleswig-Holstein Versuchsanlagen mit der Sorte Ritmo und der Sorte RGT Reform angelegt. In der hochanfälligen Sorte Ritmo ist mit einem verstärkten Auftreten von Schaderregern zu rechnen, wodurch sich die Stärken und Schwächen der Entscheidungshilfen in Bezug auf die Schaderregerunterdrückung besser differenzieren lassen. Mit der Einbindung der modernen Sorte RGT Reform in den Versuchsaufbau kann zugleich die Praxistauglichkeit der Entscheidungshilfen gezeigt werden. Um den Fungizideinsatz vergleichen zu können, erfolgten die Behandlungen der Bestände in allen Varianten nach einem vor Versuchsbeginn festgelegten Plan, in dem Aufwandmengen und Präparate für alle Indikationen definiert waren.

 

Im Versuchsgebiet konnte sowohl in der Sorte Ritmo als auch in der Sorte RGT Reform überregional ein epidemiologisches Auftreten des Erregers der Septoria-Blattdürre beobachtet werden. Das galt ebenso für die in Schleswig-Holstein wichtigen Erreger des Braun- und Gelbrostes sowie für den Erreger des Echten Mehltaus. Die Applikationsempfehlungen richteten sich 2019 zu 94 % gegen den Erreger der Septoria-Blattdürre und jeweils zu 2 % gegen Braun- und Gelbrost sowie Echten Mehltau. Eine ähnliche Verteilung zeigte sich auch 2020; hier richteten sich die Applikationsempfehlungen zu 90 % gegen Septoria-Blattdürre und zu jeweils 5% gegen die Erreger des Braunrostes und des Echten Mehltaus.

 

Wegen des breiten Wirkungsspektrums der eingesetzten Fungizide war der Weizen vor möglichen Infektionen durch den Erreger des Mehltaus und des Braunrostes durch die Applikationen mit Indikation gegen Septoria-Blattdürre geschützt. Diese sind in die Berechnung nicht mit eingegangen.

 

Zur Schaderregerkontrolle wurden in beiden Versuchsjahren von den Entscheidungshilfen durchschnittlich 2,5 Applikationen in beiden Sorten je Standort und Sorte empfohlen. Im Jahr 2019 gaben die Entscheidungshilfen des IPS-Modell Weizen und des ISIP-Systems je 2,8 Applikationsempfehlungen und der xarvio FIELD MANAGER 2 Behandlungen aus. Im Jahr 2020 wurden durch das ISIP-System 2,7

Behandlungen je Standort empfohlen. Der xarvio FIELD MANAGER und das IPS-Modell Weizen kamen hingegen nur auf 2 Behandlungen je Standort im gleichen Zeitraum.

 

Ob durch die Entscheidungshilfen die Fungizidanwendungen weiter optimiert wurden, lässt sich anhand eines Behandlungsindexes (BI) erkennen. Dieser gilt als Maß für die Behandlungsintensität und errechnet sich aus der Summe des Anteils aller eingesetzten Fungizide an deren maximal zugelassener Aufwandmenge in einer Behandlungsperiode.

 

Werden an einem Standort beispielsweise 3 Fungizidapplikationen mit 75 % der maximal zugelassenen Aufwandmenge in einem Jahr durchgeführt, errechnet sich daraus ein BI von 3 x 0,75 = 2,25. Präparate in Tankmischungen gehen dabei einzeln in die Berechnung ein.

 

Um den BI der Entscheidungshilfen einzuordnen, wurde als Anhaltspunkt der mittlere BI aus den Untersuchungen des JKI der Jahre 2007 bis 2016 genommen. Die Netzvergleichsbetriebe erreichten dabei einen BI von 2,5, davon entsprachen 87 % der Fungizidanwendungen nach Untersuchungen des JKI dem sogenannten »Notwendigen Maß«. In den Versuchsjahren 2019 und 2020 konnte gemittelt über alle

Entscheidungshilfen ein BI von 2,1 bzw. 2 erreicht werden, wobei das IPS-Modell Weizen einen BI von 2 das ISIP-System einen BI von 2,3 und der xarvio FIELD MANAGER einen BI von 1,8 erreichten. Durch die Verminderung der Behandlungsintensität ließ sich die eingesetzte Wirkstoffmenge an den Standorten weiter reduzieren. Durchschnittlich wurden in den Varianten der Entscheidungshilfen nur 1,56 kg fungizide

Aktivsubstanz/ha im IPS-Modell Weizen, 1,61 kg/ha im ISIPSystem und 1,22 kg/ha im xarvio FIELD MANAGER appliziert (Grafik 2).

Wie effektiv ist der Fungizideinsatz der Entscheidungshilfen gegenüber einem Pathogenbefall?
 

Um das zu bewerten, wurde die Befallsstärke im Bestand in den Varianten der Entscheidungshilfen zwischen die unbehandelte Kontrolle (0 %) und die Gesundvariante (100 %) auf den oberen drei Blattetagen (Fahnenblatt bis F-2) zu BBCH 77 eingeordnet (Grafik 2). Erreichte eine Variante hier einen Wirkungsgrad von 100 %, würden die Pathogene in gleichem Maße wie in der Gesundvariante unterdrückt; 0 % Wirkungsgrad stellten hingegen einen Befall dar, der mit der unbehandelten Kontrolle gleichzusetzen ist. Das IPS-Modell Weizen erreichte dabei einen Gesamtwirkungsgrad von 93 %, das ISIP-System einen von 94 % und der xarvio FIELD MANAGER einen Gesamtwirkungsgrad von 86 % gegenüber der Gesundvariante. Das galt bei der Betrachtung der Befallsstärke im Bestand von Septoria-Blattdürre, P. striiformis, P. recondita und B. graminis. Bei einzelner Betrachtung des Hauptschadpathogens Septoria-Blattdürre konnte das IPS-Modell Weizen einen Wirkungsgrad von 77 %, das ISIP-System einen von 83 % und der xarvio FIELD MANAGER einen von 74 % erreichen. Der Nekrotisierungsgrad vereint abiotische und biotische Faktoren und ist dadurch ein Indikator der Pflanzenvitalität. Bei Betrachtung der Entscheidungshilfen beliefen sich hier die Wirkungsgrade auf 88 % beim IPS-Modell Weizen, auf 89 % beim ISIP-System und auf 85 % beim xarvio FIELD MANAGER in beiden Sorten und beiden Jahren.

Der Kornertrag
 

ist neben der Wirkung auf die Hauptschaderreger ein entscheidendes Bewertungskriterium für die Entscheidungshilfen (Grafik 3). Alle Varianten der Entscheidungshilfen und die Gesundvariante zeigten einen signifikant erhöhten Ertrag gegenüber der unbehandelten Kontrolle. Darüber hinaus konnte ebenfalls eine statistische »Nichtunterlegenheit « der Erträge der Varianten aller Entscheidungshilfen gegenüber der Gesundvariante nachgewiesen werden, womit die Höhe des Ertragsniveaus der Gesundvariante durch alle Entscheidungshilfen erreicht werden konnte. Im Mittel wurden in der Sorte Ritmo in der unbehandelten Kontrolle 78,2 dt/ha und in der Gesundvariante 100,2 dt/ha geerntet. Dabei ordneten sich das IPS-Modell Weizen mit 97,5 dt/ha, das ISIP-System mit 96,8 dt/ha und xarvio FIELD MANAGER mit 98,0 dt/ha zwar zwischen diesen beiden Kontrollen ein, zeigten statistisch aber keinen Unterschied zur Gesundvariante. In der Sorte RGT Reform konnten vergleichend zum Ritmo insgesamt höhere Erträge erzielt werden. Dabei lagen die Erträge der unbehandelten Kontrolle bei durchschnittlich 92,8 dt/ha und der Gesundvariante bei 107,1 dt/ha. Die Varianten der Entscheidungshilfen ordneten sich mit 105,7 dt/ha beim IPS-Modell Weizen, 105,3 dt/ha beim ISIP-System und 103,9 dt/ha beim xarvio FIELD MANAGER ebenfalls zwischen den Kontrollen ein. Dabei zeigte sich wiederum kein statistischer Unterschied zur Gesundvariante.

 

Unterschiede in der Intensität.
 

Durch den Einsatz der Entscheidungshilfen konnte ohne wesentliche Ertragsverluste die Behandlungsintensität gegenüber dem langjährigen Durchschnitt der Netzvergleichsbetriebe in Norddeutschland reduziert werden. Dabei zeigten sich Unterschiede in der Behandlungsintensität und als Folge daraus auch Unterschiede im Wirkungsgrad auf den Pathogenbefall zwischen den Entscheidungshilfen. Eine mögliche Ursache für die Abweichungen in den Wirkungsgraden könnte eine unterschiedlich bewertete Bedeutung der Blattetagen sein. So zeigte sich, dass der xarvio FIELD MANAGER vor allem bei der Beurteilung des drittobersten Blattes von den anderen Entscheidungshilfen abwich. Denn eine Verringerung der im Befall bewerteten Blattetagen von den obersten drei auf die obersten zwei Blattetagen zeigte eine Wirkungsgradsteigerung von über 11%. Im Gegensatz dazu konnte bei den Entscheidungshilfen IPS-Modell Weizen und ISIPSystem nur eine geringere Steigerung des Wirkungsgrades von 6 % bzw. 5 % nachgewiesen werden. Dies ist ebenfalls an der Erstapplikation des xarvio FIELD MANAGERs zu erkennen, die an allen Standorten sowohl 2019 als auch 2020 zu einem späteren Zeitpunkt als beim IPS-Modell Weizen und dem ISIP-System empfohlen wurde.

 

Ein wichtiger Faktor für die Akzeptanz von Entscheidungshilfen in Praxisbetrieben
 

ist der mit ihrer Anwendung einhergehende Arbeitsaufwand. Hier zeigte sich, dass alle Entscheidungshilfen mit einem grundsätzlich sehr geringen Arbeitsaufwand betrieben werden können, allerdings gab es zwischen den Entscheidungshilfen Unterschiede in der Anwendung. So können alle Empfehlungen nur im IPS-Modell Weizen ohne vorherige Anmeldung oder Registrierung, also barrierefrei, eingesehen werden. Beim ISIP-System muss für die Septoria-Blattdürre-Vorhersage eine Anmeldung und Registrierung erfolgen, bei allen anderen Erregern ist dies nicht zwingend erforderlich. Beim xarvio FIELD MANAGER muss grundsätzlich eine Anmeldung sowie Registrierung erfolgen, zudem ist dieser im Versuch auch die einzige kostenpflichtige Entscheidungshilfe. Im Gegensatz dazu stehen die Personalisierungsmöglichkeiten: Die Anpassung der Entscheidungshilfe an den nutzenden Betrieb ist durch Eingabe von Betriebsparametern beim xarvio FIELD MANAGER sehr detailliert möglich, beim ISIP-System ist dies ebenfalls nur bei der Septoria-Blattdürre-Vorhersage der Fall und beim IPSModell Weizen müssen die Daten bei jedem Abruf erneut eingegeben werden.

Fazit

In beiden Versuchsjahren konnte durch alle Entscheidungshilfen ein gutes Ergebnis erzielt und nachgewiesen werden, sodass die Anwendung von Entscheidungshilfen für den Fungizideinsatz in der Weizenkultur für landwirtschaftliche Betriebe eine gute Möglichkeit darstellt, Fungizide noch effizienter einzusetzen, ohne dabei auf Ertrag verzichten zu müssen.

 

Ketel Christian Prahl,
Christian-Albrechts-Universität Kiel,
Institut für Phytopathologie